Ich hing jahrzehntelang unbeachtet in einem Spiegelschrank im Keller. Mein Bruder war damals schon über 100 Jahre alt und hing neben mir – er konnte mich auch nicht mehr aufmuntern, trotz seiner wärmenden Art. Er diente schon dem Vater von Prof. Behr – aber ich war ja das Nesthäkchen der Familie. Also in besagten Spiegel schaute ich das letzte Mal mit Prof. Behr senior. Mannomann sah ich gut aus. Nicht ein Stückchen von mir verschlissen. Tradition und Handarbeit haben mich geboren und viele Ballkleider habe ich zum Tanzen verführt. Damals war eben doch alles noch besser. Das waren meine traurigen Gedanken im Jahre 2007. Niemand zog mich mehr an – ich hing wie ein ungeliebter Kartoffelsack am Bügel. Und dann, es war wie ein Wunder für mich, im Januar 2008 öffnete sich die Schranktür, ich wurde gelüftet, gereinigt, gestreichelt, anprobiert und im Spiegel bewundert. Dr. Behr junior passte ich wie angegossen. Am 18. Februar wurde ich damals im Koffer verstaut und flog nach Wien – endlich sollte mein Dasein wieder einen Sinn haben. Und was freute ich mich.
Mein Bruder durfte auch mit, schließlich ist es im Februar bitterkalt, da wurde er eindeutig gebraucht. Ich war aufgeregt und knitterte ein wenig – kein Wunder, lagen doch weniger feine Verwandte im Koffer auf mir rum. Aber in Wien weiß man einfach mit mir umzugehen – die K&K Monarchie erkennt eben Klasse und Stil. Meine Begleitung war mehr als Charmant, schwarzer Satin und silberne Stickereien – handgearbeitet.
Ich traf an dem Abend viele Freunde und meine Schöße flogen nur so vor Tanzlaune – Ich wurde unzählige Male fotografiert und zeigte mich von meiner besten Seite. Erst um 5 Uhr am nächsten morgen wurde ich ausgezogen. Auf der Rückreise sprach ich leise mit meinem Bruder, will ja keiner Stimmen aus dem Koffer hören, das würde unsere Besitzer doch etwas irritieren, aber nun ja, also ich sprach über meine Sorgen. Könnte sich dieses Glücksgefühl nur wiederholen oder musste ich erneut 20 Jahre auf einen neuen Einsatz warten. Denn auch meine erlesene Geburt macht mich nicht immun gegen Alterserscheinungen.
Mein Bruder beruhigte mich, mit seiner Erfahrung von Hunderten von Bällen und Tanzveranstaltungen. Er meinte, du wirst sehen, du hast unserem Behr junior so gut gefallen, der vergisst dich nicht mehr. Und so war es auch. Heute bin ich ein glücklicher Frack, werde jedes Jahr zum Opernball eingeladen und das hält mich auch irgendwie jung.